Hans-Jürgen v.O. - Literatur

Literatur

Hans-Jürgen von Osterhausen:
Die Gründung der Deutschen Freiheitsbiliothek am 10. Mai 1934 in Paris,
in: Der Deutschunterricht - 4/2015, Paris: Literarische Topographie einer Stadt, hrsg. von Nicole Colin
Friedrich Verlag August 2015, www.friedrich-verlag.de

Über hunderte von Jahren hat die französische Literatur immer wieder die Weltliteratur angestoßen und vor allem Paris war das Zentrum vieler literarischer Entwicklungen. Nur zwei Beispiele aus deutscher Sicht: Für Rilke war die Seinestadt ganz wichtig und Günter Grass' erster Roman, "Die Blechtrommel" entstand in Paris. Kein Wunder, dass viele Schriftsteller, deren Bücher in Deutschland 1933 verboten und "verbrannt" wurden, den Weg zunächst nach Paris fanden und dort vor allem organisiert von Alfred Kantorowicz die Deutsche Freiheitsbibliothek gründeten. Ein spannendes Thema!


Eigene Texte

die bücher

am liebsten sitze ich
in ihrer nähe
wo ich sie alle
sehen kann und
mit ihnen sprechen
und sie auch mit mir

bücher sind
wie nichts anderes
die botschafter ihrer zeit
das habe ich gelernt
in meinem leben

daher sitze ich am liebsten
bei ihnen
rede mit ihnen
lerne von ihnen
fasse sie an
blättere in ihnen
begeistere mich
über sie
oder räume sie um
um alles noch schöner
und eindringlicher zu
machen

meine bücher
von 1598 bis heute


Begegnung mit der Literatur, den Schriftstellern

Hans-Jürgen von Osterhausen, April 2015


Die Auseinandersetzung mit der Literatur hat mich mein Leben lang beschäftigt. In der Schulzeit mit den vielen Lehrbüchern, im Studium mit den Zeitschriften, Kommentaren usw usw. Im Beruf ging es weiter mit Fachbüchern, Katalogen, Zeitschriften. Spaß hat es mir immer wieder gemacht, selbst Texte zu schreiben, wobei ich gerade13 Jahre alt war, als ich den Text über den Fußballspieler schrieb und begeistert war ich über den Text nach der weltweiten Heartfield Ausstellung. Einige wurden auch veröffentlicht, dann ab Ende der 90er Jahre in den Musik- und Jazzmagazinen und auch 3 Jahre im Kölner Stadt Anzeiger ein paar hundert.
Die sog. schöngeistige Literatur hatte es mir aber immer angetan, als Kind die Autoren Ernest Thompson Seton, Zane Grey, James Fenimore Cooper, Sir Walter Scott insbesondere mit Ivanhoe, von dem ich später in Deutsch und Englisch alles erworben habe und ein paar Bände auf Französisch, oder Karl May. Alle aus dem 19. Jahrhundert.
Ziemlich früh fing ich an, aktuelle Literatur zu lesen. Damals war das noch nicht einfach, weil man mit diesem Thema ziemlich allein war. Und ich lernte die Buchhandlungen und Antiquariate in meiner Stadt, die es im Gegensatz zu heute zahlreich gab, intensiv kennen.
Was soll man machen, wenn man dann Anfang der 90er ein paar Häuser entfernt von dem besten Antiquariat auf der anderen Rheinseite in Köln sein Büro hat. Wunderbare Mittagspausen gab es da. Vor allem die alten Bücher haben es mir damals angetan. Irgendwie merkte ich, dass Bücher in ihrer jeweiligen Gestalt auch Botschafter ihrer Zeit waren und sind.
In den 90er Jahren stellte ich dann fest, dass es auch möglich war, die Schriftsteller, auch wenn sie weltberühmt waren, auf Lesungen zu erleben oder auch bei anderen Treffen, vielleicht sogar kurz mit ihnen zu sprechen.
in Gedanken gesprochen habe ich mit Autoren auch davor oft, ohne sie je zu treffen, z.B. mit meinem jahrelangen Lieblingsautor Hans Erich Nossack, dem großartigen Existenzialisten der deutschen Literatur, den heute kaum noch jemand kennt. Ich besitze alle seine Bücher!
Und erlebt hatte ich bereits in 1965 in der Aula der Kölner Universität Günter Grass bei einer Wahlkampfveranstaltung der SPD. Und natürlich traf ich mehrfach den berühmtesten Kölner Literaten Heinrich Böll, auf dem Weg zum Bäcker unweit der Riehler Straße, wo er und auch ich wohnten, und einmal vor dem Kino "Off Broadway", damals noch "Lupe 1" an der Zülpicher Straße. Grass "Blechtrommel" hatten mir meine Freunde zu meinem 21. Geburtstag geschenkt. "Katz und Maus" kam als Taschenbuch gleich hinterher.
Vor allem das British Council in Köln war dann in den 90ern der Ort, in dem man die berühmten Autoren erleben konnte. Wegen Beruf und Familie konnte ich immer nur einige Termine besuchen. Aber mit A.S.Byatt fing es an, die ich seitdem immer wieder lese.
Und es gab Lesungen vom Kölner Literaturhaus, damals noch im Mediapark und unter anderen von der Buchhandlung Bittner, so mit dem Ungarn Imre Kertesz, der sehr freundlich ein paar Worte mit mir wechselte und mit Alan Isler, dem Engländer aus den USA und schließlich Cees Nooteboom aus den Niederlanden, den ich später noch zweimal erlebte, einmal in Köln und einmal in Düsseldorf. Er war immer sehr freundlich. Große Überraschung die Lesungen von Sarah Kirsch in Köln und Reiner Kunze in Bonn, verbunden mit einem unvergessenen Gespräch.
Und 1995 in Berlin, in der Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg bei der Eröffnung der Tucholke Ausstellung ein erstes Zusammentreffen mit Christoph Hein, der meine Eröffnungsrede lobte und mir ein Buch signierte, das ich sicherheitshalber mitgebracht hatte.
In den 90er Jahren kam der Österreicher Robert Menasse in die Abtei Brauweiler und las aus seinem neuen Buch "Schubumkehr".
Nicht zu vergessen das lange Gespräch nach der Lesung im British Council mit Robert McLiam Wilson aus Belfast, wo ich 20 Jahre zuvor zwei Tage nach dem "Black Friday" war.
Und dann die Eröffnung der tschechisch und slowakischen Kulturtage 2001 mit Pavel Kohout, mit dem ich einen Abend verbrachte und der mir viel erzählte und natürlich Bücher signierte.
Kurz danach das erste Treffen auf A.L. Kennedy aus Schottland im Stadtgarten mit einer Lesung. Beeindruckt hat sie mich. Da war sie noch nicht auch Comedian sondern nur Schriftstellerin.
Unvergessen die Treffen mit der Familie Wolf, Christa und Gerhard. Christas Bücher hatte ich seit 1974, seit meinem ersten Tag in der DDR immer gekauft und gelesen, vor allem dann auch "Kassandra" und vorher "Nachdenken über Christa T.", "Unter den Linden", "Kindheitsmuster", "Der Geteilte Himmel" usw. usw. Anfang der 80er Jahre merkte ich, dass meine Chefin im Büro mich ernst nahm, als sie mir zu Weihnachten "Kassandra" schenkte, die mir Christa Wolf später signierte. Auch "Medea" beeindruckte mich und nie vergesse ich, wie ich kurz nach dem Erscheinen von "Was bleibt" dieses Buch bei einem Besuch in Freiburg kaufte, mich in ein Café am Münster setzte und erst wieder ging, als ich es zu Ende gelesen hatte. Ein nicht umfangreiches Buch, das mich bewegte, kurz nach der Wende.
Dann waren sie, Christa und Gerhard in Brauweiler bei der vom Rheinischen Museumsamt veranstalteten Ausstellung ihrer Künstler-Freunde und ich holte Christa vom Flughafen ab. Daraus entwickelte ich ein paar Jahre lang eine Freundschaft, an die sich auch Gerhard Wolf, als ich ihn vor wenigen Wochen bei einer Lesung im Lew Kopelew Forum traf, erinnerte. Schon lange bevor ich ihn kennenlernte, hatte mich sein Buch über Johannes Bobrowski sehr beeindruckt. In den 90er Jahren hat er es mir dann signiert.
Unvergessen auch der Besuch bei Wolfs in Berlin-Pankow in den 90er Jahren mit Freunden aus Köln und der in der DDR sehr bekannten Künstlerin Nuria Quevedo, von der ich eine kleine Grafik geschenkt bekam, die heute noch zwischen meinen Bücheregalen hängt. Einige Monate später schickte Christa Wolf mir den biografischen Text zu Heinrich Bölls 80. Geburtstag, den dieser schon lange nicht mehr erlebt hat, mit einer sehr persönlichen Signatur. Dann gab es wieder ein Treffen in Bonn, wo Christa im Frauenmuseum eine Lesung hatte.
Jahrelang stand ich in dem Verteiler von Gerhard Wolfs aufsehenerregendem Kunst-und Literaturverlag Janus Press und besuchte ihn Ende der 90er Jahre auf der Frankfurter Buchmesse. An seinem Stand saß A.R.Penck, der mir sein neuestes Buch aus dem Verlag nicht nur signierte, sondern mit einer kleinen Graphik versah.
W.G. Sebald, der deutsche Schriftsteller aus Norwich/GB, bekam Ende der 90er Jahre den Heinrich Böll Preis in Köln und las in der Stadtbibliothek. Ein einzigartiger Künstler und ein Erlebnis, an das vor einem Jahr in einer Veranstaltung in der Langfeld'schen Buchhandlung erinnert wurde.
Auch unvergessen in der Kölner Stadtbibliothek die Lesungen irischer und walisischer Schriftsteller wie Frank Ronan, der sich über unser Gespräch sehr freute, Glenn Patterson, Dermot Bolgar und Bernice Rubens. Und Lavinia Greenlaw wie auch Toby Litt in dem damals neuen Literaturhaus an der Schönhauser Allee.
Auch Michel Houellebecq war da schon vor 15 Jahren, im Odeon Kino in der Severinstraße und gab sich sehr freundlich im kurzen Gespräch.
Jonathan Franzen und Don Winslow beeindruckten bei Bittner in der Buchhandlung und in der Kölner Kulturkirche.
Peter Härtling las in der Aula des Hildegard von Bingen Gymnasiums in Köln-Klettenberg und staunte, als ich ihm eins seiner ersten Taschenbücher "Im Schein des Kometen" bei Goldmann zum Signieren hinlegte.
Auch das Institut Francais bietet bis heute immer wieder bekannte Autoren oder solche, die es mit Sicherheit werden, an, z.B. zusammen mit der Buchhandlung Bittner, so zum Beispiel Daniel Pennac oder Jean-Philippe Toussaint.
Und dann das Treffen mit meinem Lieblingsautor, Colm Toibin aus Irland, im ehemaligen British Council veranstaltet von der Buchhandlung Bittner. Ich traf ihn unverhofft vor der Lesung und gestand ihm, dass er seit Jahren mein Lieblingsautor sei und ich auch seine Heimat, Irland kenne und liebe.
Während wir in Ahrenshoop an der Ostsee Anfang dieses Jahrhunderts waren, trat dort Friedrich Schorlemer in einer sehr kritischen Lesung auf. Und viele Jahre später kam die auch aus der DDR stammende Monika Maron in das Literaturhaus nach Köln. Sie hatte etliche Jahre vor der Wende die DDR verlassen und viel Interessantes zu erzählen, das man nicht vergessen sollte.
Vor zwei Jahren war auch die aus Österreich stammende Eva Menasse in der Kölner Stadtbibliothek, wo ich zufällig neben der Kölner Schriftstellerin Margit Hähner saß, die ich vorher gar nicht kannte. Ihr letztes Buch, "Spielball der Götter", habe ich dann sofort gelesen.
Auch in der Buchhandlung Klinski um die Ecke gibt es immer wieder interessante Lesungen, so zum Beispiel von Robert Walker über den Kommissar im Süden Frankreichs.
Und dann seit etlichen Jahren das besondere Literaturpodium in Köln, die Lit.Cologne. Da waren und sind immer im März und ausnahmsweise auch im Herbst viele weltbekannte Schriftsteller zu erleben. Ich hatte die Gelegenheit und meist Freude, Folgende zu erleben, mit ihnen kurz zu sprechen und eine, zwei oder drei Signaturen zu bekommen: Lawrence Norfolk, Rafael Chirbes, John Banville, Julian Barnes, Elisabeth George, Margaret Atwood, William Boyd, Herta Müller, John Burnside, Connie Palmen, Hermann Koch, Gerbrand Bakker, Colum Mc Cann und Uwe Timm. Teilweise kannte ich ihre Bücher schon lange und war immer wieder begeistert, sie nun auch persönlich zu erleben. Vor allem den Portugiesen Antonio Lobo Antunes, dessen Erzählung "der gefiederte Pfeil" mich schon beim ersten Lesen in den 90er Jahren fassungslos machte, ging es doch um seinen ersten Spielfilm mit den Indianern und Cowboys, der auch mein erster Film Mitte der 50er Jahre gewesen war. Ein halbes Jahr älter ist er als ich.
Durch diese vielen Begegnungen kann ich die Literatur und ihre Schöpfer niemals vergessen. Und es geht weiter auf allen Ebenen und an allen Orten.


Erinnerung an den Schriftsteller mit dem Schnurrbart

Einundzwanzig Jahre war ich geworden, da bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Zu meinem Geburtstag schenkten mir meine Freunde den Roman "Die Blechtrommel", der mich faszinierte, auch wenn ich einige Zeit brauchte, um alles zu verstehen.
Vor einigen Tagen nun habe ich wieder erfahren, dass die Bücher dieses kürzlich in der Nähe von Lübeck verstorbenen Autors Jahrgang 1928, der sich irgendwann einen Schnurrbart zugelegt hatte, um den vorgeschobenen Unterkiefer zu verbergen, mit seinem Leben zu tun haben.
Wie er anfing zu lesen, Autoren, die ich in seinem Alter von damals auch las. Er hatte ein Teil eines Regals für seine Bücher zugewiesen bekommen, die immer mehr wurden, wie ich auch, in dem kleinen hässlichen Dorf im Kreis Bergheim und ein paar Jahre später in der großen Stadt am Rhein. Und wir lasen und lasen und begannen auch bald zu schreiben. Er bald richtige Gedichte, die dann auch Mitte der 50er Jahre veröffentlicht wurden zu der Zeit, als es bei mir anfing, und mit denen er in der Gruppe 47 landete. Bei mir war es die Geschichte des Fußballspielers und dann später auch viele Gedichte, die allerdings nicht veröffentlicht worden sind.
1965 habe ich ihn persönlich erlebt, in der Aula der Universität, wo er eine Rede zum Bundeskanzlerkandidaten Willy Brandt hielt, der dann leider noch eine Wahl vier Jahre später brauchte, um diesen Job zu bekommen. Und war ihn ziemlich bald durch Intrigen aus der DDR wieder los. Aber an der längst überfälligen Demokratisierung unseres Landes hat er entscheidend mitgewirkt, wie auch der Autor, der von dem früheren CDU Kanzler als "Pinscher" bezeichnet wurde. Offenbar hatte er mit seinen Worten so richtig ins Schwarze getroffen. Und nach dem Krieg hatte er auch gemerkt, dass das braune Denken sich in dieser schwarzen Partei sehr hielt. Unvergessen dass sie kurz nach Gründung der BRD versuchten, ein Gesetz gegen "Schmutz und Schund" in der Literatur durchzubringen. Solche Worte hatte man nicht vergessen, auch wenn die Bücher, die verboten werden sollten, nicht mehr brannten. Waren ja auch einige frühere Funktionäre in der Organisation dieser Partei und der Republik dabei.
Und dann wieder die Begegnungen, auch wenn ich sie jetzt erst erfahren habe. Oskar Matzerath lernte, bevor er die Trommel bekam, zunächst Waschbrett spielen, vor allem bei der Lieblingsmusik des Autors, dem Ragtime, immer wieder benutzt. Auch ich spielte zuhause und mit den Freunden immer wieder auf dem Rubbelbrett und als Trommeln bekam ich dann später die Plastikeimer. Mehr wurde nicht, mal von der Trompete abgesehen, die ich dann etwas später lernte.
So richtig fing mein Leben dann im Westen von Köln an, nicht weit von dem Ort entfernt, in dem der Autor seine Familie nach dem Krieg wieder traf.
Und die Eltern? Die Mutter starb recht früh an Krebs und der Vater mit gerade 80 Jahren, wie auch meine Eltern.
Seine Texte im Laufe der Jahre haben mich immer wieder fasziniert, "Das Treffen in Teltge" oder "Grimms Wörter" über die Brüder Grimm, mit denen ja auch meine Vorfahren zu tun hatten, und vor allem "Mein Jahrhundert".
Vergessen werde ich ihn nie, den Schriftsteller mit dem Schnurrbart, mit dem er nur den vorstehenden Unterkiefer verbergen wollte, der aber zu seinem äußeren Erkennungszeichen wurde, dessen Museum/Haus in Lübeck, ganz in der Nähe des Willy Brandt Hauses - s.o.!- ich noch vor ein paar Monaten, noch kurz vor seinem Tode, besucht hatte und ziemlich beeindruckt war.

August 2015

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